Die Anfänge

Das Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt gehört zu den ältesten jüdischen Siedlungsgebieten in Deutschland. Jüdische Kaufleute werden bereits im 10. Jahrhundert in Chroniken und in königlichen Urkunden für die Bischofsstädte Magdeburg, Merseburg und Halle erwähnt, gefolgt von Halberstadt in der zweiten Hälfte des 12 Jahrhunderts.

Im Spätmittelalter, ab dem Beginn des 14. Jahrhunderts, sind Gemeinden aus Aschersleben, Bernburg, Ballenstedt, Calbe, Schönebeck, Stendal und Wittenberg bekannt. Ihre Geschichte ist eine Geschichte zwischen landesherrlicher Duldung oder Schutz und Verfolgung oder Vertreibung. Besonders in den Krisen des 14. Jahrhunderts, vor allem der großen Pest, wurden die Juden wie überall in Europa in die Rolle der Sündenböcke gedrängt.

Der Spott und die Verachtung der zeitgenössischen christlichen Mehrheitsbevölkerung ist noch heute in den gotischen antijüdischen Reliefs der „Judensau“ in Kirchen in Magdeburg, Wittenberg, Calbe und Zerbst sichtbar. Diese Darstellungen haben in den letzten Jahren heftige Diskussionen darüber ausgelöst, ob sie entfernt, verhüllt oder kritisch kommentiert und kontextualisiert werden sollten.

Jewish cemetery in Stendal

Jüdischer Friedhof in Stendal

Frühe Neuzeit

Die Diskontinuität jüdischer Ansiedlungen setzte sich im 15. und 16. Jahrhundert fort. Nach einer lokalen Eskalation des Konflikts vertrieb Erzbischof Ernst II. von Magdeburg 1493 alle Juden aus seinem Territorium. Seine Weihbischöfe in Naumburg-Zeitz und Merseburg folgten diesem Beispiel. Später wurde das Land durch den 30-jährigen Krieg schwer getroffen.

Nach dem Westfälischen Frieden stellten sich die Landesherren der Aufgabe des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und öffneten sich für die – kontrollierte und begrenzte – jüdische Einwanderung. Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der Große Kurfürst, erlaubte 50 jüdischen Familien, sich nach ihrer Vertreibung aus Wien 1670 in seinem Territorium niederzulassen. Dies wirkte sich jedoch mehr auf das heutige Bundesland Brandenburg aus als auf die Altmark oder das ehemalige Bistum Magdeburg, denn Magdeburg wurde erst 1680 dem Kurfürstentum angegliedert. Nur wenige frühneuzeitliche jüdische Gemeinden in Sachsen gehen auf die 1670er und 1680er Jahre zurück, so die in Halle, Jessnitz und Oschersleben.

Law on Jews in Prussia from 1847

Preußisches Gesetz für den Personenstand der Juden von 1847

Halberstadt, das ehemalige Bistum, das im Zuge des Friedens von 1648 mit Brandenburg zusammengelegt wurde, entwickelte sich zu einer der größten und bedeutendsten Gemeinden Mitteleuropas, in der um 1700 etwa 700 Juden lebten. Zusammen mit Frankfurt am Main in Hessen galt Halberstadt bis ins 20. Jahrhundert als Zentrum der jüdischen Orthodoxie in Deutschland.

Die anhaltinischen Fürsten verfolgten eine ähnliche Toleranzpolitik wie die brandenburgischen Kurfürsten. Sie erlaubten die Ansiedlung und gewährten Schutzbriefe. Jüdische Gemeinden wurden gegründet und wuchsen in Dessau, Sandersleben, Köthen, Gröbzig und Zerbst.

Im 18. Jahrhundert kam es in den anhaltinischen Fürstentümern sowie in Brandenburg (mit Sachsen) zu weiteren Gründungen, doch mussten Privilegien wie die Errichtung einer Synagoge oder eines Friedhofs noch individuell erworben werden. Unter Napoleon und in den Jahren nach ihm wurden neue Gemeinden in Eisleben, Haldensleben, Quedlinburg, Wolmirstedt (Sachsen) und Aschersleben gegründet, das zeitweilig – wie Halle – zum napoleonischen Königreich Westfalen gehörte.

Emanzipation

Das 19. Jahrhundert, die sogenannte Judenemanzipation, führte zu einer Konsolidierung der jüdischen Gemeinden, sichtbar an ihren neuen Synagogen und Mikwehs, die nicht mehr hinter Wohnhäusern versteckt werden mussten. Im Fürstentum Anhalt-Bernburg erhielten die Juden 1810 das Bürgerrecht, zwei Jahre später folgte Anhalt-Köthen.

In Preußen erweiterte das Toleranzedikt von 1812 auch die Rechte der Juden – wenn auch nicht ohne Einschränkungen – und machte sie zu Rechtsbürgern wie die übrige Bevölkerung. Als eine der Voraussetzungen mussten sie feste Familiennamen wählen, womit die traditionelle Namensgebung mit ben (Sohn von) oder bat (Tochter von) ersetzt und eine Voraussetzung für die Registrierung von Geburten, Eheschließungen und Sterbefällen nach dem Vorbild der Kirchenbücher geschaffen wurde.

Ein Folgegesetz aus dem Jahr 1847 zielte auf die Verwaltung der jüdischen Gemeinden im ganzen Land ab und verlieh ihnen den Rechtsstatus von Körperschaften mit dem Recht, Steuern zu erheben und mit der Pflicht, Religionsunterricht an Schulen zu erteilen. Alle Juden galten als Mitglieder ihrer örtlichen Gemeinde mit einer Synagoge oder der Synagogenbezirke, in denen sie lebten. Die Bildung dieser Synagogenbezirke korrespondierte mit den evangelischen und katholischen Pfarrstrukturen.

Schatten

Unter diesen Bedingungen konnte sich jüdisches Leben entfalten, wurde aber von der Propaganda der nach der Machtübernahme Kaiser Wilhelms II. 1890 aufkommenden antisemitischen Bewegungen, wie dem Deutschen Sozialen Antisemitischen Verein für Halle und den Saalekreis, überschattet.

Im Jahr 1933 existierten auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt etwa 30 jüdische Gemeinden (Bild 29). Der Faschismus löschte dieses Leben wie überall im Lande aus. In Magdeburg z.B. überlebten von 2300 Menschen nur 119 die Shoah. Von den Synagogen entgingen nur die in Wörlitz und Gröbzig (beide im anhaltinischen Teil) der Zerstörung. In Gröbzig beherbergt das Gebäude-Ensemble mit Schule, Versammlungshalle und Friedhof heute ein Museum zur jüdischen Kulturgeschichte der Region Mitteldeutschland..

Old Synagogue Magdeburg

Alte Synagoge Magdeburg vor ihrem Abbruch 1939

Neubeginn

Nach dem Krieg gründeten sich lediglich die Gemeinden in Magdeburg und Halle 1947 neu und bildeten den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt, fristeten aber in den Jahrzehnten der säkularen DDR ein mehr als bescheidenes Dasein.

Die politische Wende und der Zuzug neuer Mitglieder aus den ehemaligen Sowjetrepubliken nach 1990 ermöglichten eine Wiederbelebung und die Gründung einer dritten Gemeinde in Dessau im Jahr 1994. Der Landesverband hatte formal seit 1947 Bestand, auch wenn mit der Verwaltungsreform der DDR 1952 die Bundesländer durch Bezirke ersetzt wurden. Heute vertritt er die Mitglieder der drei Gemeinden und ist einer der 16 Landesverbände unter dem Dach des Zentralrats der Juden in Deutschland.