Sachsenhausen concentration camp

Heute

Heute, der 27. Januar, ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Er wurde 2005 von den Vereinten Nationen (UN) eingeführt, die damit den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus aufgriffen. Er wird in Deutschland seit 1997 begangen, an dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee am 27. Januar 1945.

Texte und Bilder

Texte und Bilder über die Verbrechen des Nationalsozialismus sind schon von den Alliierten direkt nach Kriegsende gezielt für die Aufklärung verwendet worden. Sie erzählen schmerzlich WAS geschehen ist, das Ausmaß des ganzen Schreckens. Aber gerade wegen dieses Ausmaßes braucht es für die Vermittlung des WIE noch andere Mittel. Die Vermittlung durch Text und Bild bleibt oft eine Dokumentation mit Distanz. Zeitlich und räumlich erscheinen diese Ereignisse weit weg zu sein. So habe ich es auch aus meiner eigenen Schulzeit in Erinnerung. Mit diesen Ereignissen hatte ich selber nichts zu tun. Das ist vermutlich eine natürliche menschliche Schutzreaktion.
Für die Vermittlung des WIE und die Überwindung solcher Distanzierungsstrategien braucht es reale Erfahrungen in Form von Begegnungen, Begegnungen mit Menschen und Begegnungen mit Orten.

Menschen

Menschen, die von ihren eigenen Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus erzählen, erzählen anders, als Bilder und Texte es tun. Ihre Erzählungen vermitteln Unmittelbarkeit, Nähe. Dabei ist es weniger entscheidend, von welchen Erfahrungen sie berichten, ob diese etwa besonders schrecklich oder extrem sind. Entscheidender ist die Kommunikation von Mensch zu Mensch. Unter diesem Aspekt kann sich glücklich schätzen, wer in seiner Familie oder im sonstigen sozialen Umfeld Menschen hat oder hatte, die von der Vergangenheit erzählt haben und die nicht dem häufigen Muster des Schweigens gefolgt sind. Anerkennung gilt auch denen, die in Schulen gehen, um von früher zu berichten, und denen, die sich für die Vermittlung solcher Kontakte engagieren, wie dem Berliner Verein Zeitzeugen e.V. Im Hinblick auf die Zeit des Nationalsozialismus wird es diese Möglichkeit mit dem Aussterben der ZeitzeugInnen bald nicht mehr geben. Videoarchive wie das von Steven Spielbergs Shoah Foundation halten Erfahrungen aus erster Hand auch für nachfolgende Generationen fest. Auch das ist unbestritten wertvoll, doch die Unmittelbarkeit der Kommunikation von Mensch zu Mensch ist verloren.

Orte des Holocaust

Orte hingegen bleiben. Die Bedeutung authentischer Orte für die Gedenk- und Erinnerungskultur ist meiner Meinung nach nicht hoch genug einzuschätzen. Natürlich gibt es viele Einzelfragen hinsichtlich der Art, wie ein historischer Ort etwa durch Mittel von Dokumentation und Rekonstruktion zu einem Erfahrungsort gemacht werden kann und soll. Grundsätzlich steht aber außer Frage, dass die Authentizität eines Ortes schon für sich eine größere Unmittelbarkeit schafft, als es ein noch so sorgsam recherchierter oder teuer ausgestatteter Dokumentar- oder Spielfilm es zu tun vermag.
Ein Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen in Oranienburg, beinahe vor meiner Berliner Haustür gelegen, lässt mich jedes Mal Neues begreifen, tut jedes Mal weh und macht mich jedes Mal froh, dass es diesen Ort als Gedenkort gibt.

 

 

Website der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen

Sachsenhausen concentration camp: view from Tower A

Dieser Blick aus dem Mittelerker des Torhauses (Turm A) war für mich bei meinem letzten Besuch neu. Von hier aus schaut man auf den ehemaligen Appellplatz, an der Stelle des schwarzen Podests in der Mitte befand sich ein Galgen. Die Anlage vom Sommer 1936 orientierte sich am Prinzip des Panoptikums: durch die halbkreisförmige Anlage sollten alle Baracken von diesem zentralen Punkt aus einsehbar und mit einem Maschinengewehr zu beschießen sein.

Sachsenhausen concentration camp: barracks

Die meisten Baracken stehen nicht mehr, und ihre Grundrisse werden heute durch Schotterflächen markiert. Die einzigen beiden Gebäude, die von der Halbkreisbebauung übriggeblieben sind, sind die ehemalige Küche (links) und die Wäscherei (rechts).

Sachsenhausen concentration camp: prison block

Am Rand des Halbkreises befanden sich – rechteckig angelegt – das so genannte „Kleine Lager“, in dem überwiegend jüdische Menschen bis zu ihrer Deportation interniert waren, und das Lagergefängnis. Hier sind einige Baracken und Teile des Zellentrakts erhalten geblieben. Anders als auf dem Foto führte der Gang für die Insassen nicht in das Licht, sondern meistens in den Tod.

Sachsenhausen concentration camp: torture posts

Der Tod war in Sachsenhausen in vielerlei Form allgegenwärtig und seine Spuren sind es bis heute, wie diese drei Pfosten für das so genannte Pfahlhängen. Insgesamt kamen allein in diesem Lager durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, medizinische Versuche, Misshandlungen, gezielte Tötungen, Massenmorde in der Schlussphase und durch die Todesmärsche nach der Auflösung im April 1945 zehntausende von Menschen ums Leben.

Sachsenhausen concentration camp: reconstructed fence

Wie auch an anderen Gedenkorten stellte sich auch in Sachsenhausen die Frage nach den Mitteln, die ursprüngliche Gestalt des in Teilen zerstörten Lagers anschaulich zu machen. 1961 wurde die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen eröffnet und ein kleines Stück der Zaunanlage mit dem Schild Neutrale Zone. Es wird ohne Anruf sofort scharf geschossen rekonstruiert.

Sachsenhausen concentration camp: memorial wall

Einige Mauerabschnitte sowie die Fläche der ehemaligen Kommandantur vor dem Haupteingang zum Lager zeigen die vielfältigen Formen individuellen Gedenkens an Opfer mit den verschiedensten nationalen, kulturellen, religiösen, sozialen oder politischen Hintergründen.
Für meinen nächsten Besuch habe ich mir vorgenommen, mich ausschließlich diesen Gedenktafeln und ihren unzähligen Namen zu widmen.
So wichtig die Bedeutung authentischer Orte für die Gedenk- und Erinnerungskultur ist, so wäre sie doch nichts ohne die Verknüpfung mit den Lebens- und Leidensgeschichten von Menschen, die unsere Großeltern, Tanten, Onkel oder andere Verwandte gewesen sein könnten, oder es vielleicht ja auch gewesen sind.