Lange Liste

Als Familienforscher bin ich in den 15 Jahren meiner Tätigkeit schon ziemlich weit in Deutschland herumgekommen. Der Anteil der Online-Arbeit wird zwar immer höher, Archivbesuche sind aber immer wieder einmal notwendig und gefragt. Hamburg, Hannover, Leipzig, Rostock, Bremen, Darmstadt, München, Stuttgart, Freiburg…. Die Liste von Städten und ihren Archiven, in denen ich bereits recherchiert habe, ist lang. Wo ich beruflich noch nicht war, war ich oft schon privat. Aber noch nie in Lübeck.

Niederegger Marzipan Lübeck

Süßes

Dabei bin ich Lübeck in meiner Kindheit oft begegnet, vor allem in der Weihnachtszeit. Auf der Verpackung des weltberühmten Niederegger Marzipans prangt das Logo mit den Initialen des Firmengründers Johann Georg Niederegger auf einer stilisierten Abbildung des Holstentors. Das Holstentor war in meiner Wahrnehmung als Kind immer eine Süßigkeit, kein spätmittelalterliches Stadttor aus Ziegelsteinen.

Firmengeschichte

Die Geschichte der Firma (https://www.niederegger.de/geschichte/) ist eine – fast – ununterbrochene Familiengeschichte. Niederegger wurde 1777 in Ulm in Süddeutschland geboren und kam 1803 als Konditor nach Lübeck. 1806 gründete er sein Mandelimperium, und als Napoleon ein Handelsembargo verhängte, importierte er den unverzichtbaren Rohstoff aus Italien per Schmuggel über Helgoland.

Die maschinelle Produktion begann 1930 mit dem Bau einer Fabrik, die nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgebaut und 1958 erweitert wurde. 1962 zog das Familienunternehmen an seinen jetzigen Standort. Es wird heute in der 8. Generation geführt, 1838 gelangte die Leitung allerdings in die Hände eines Konditors und später in die seiner Nachfahren, der zwar auch aus Ulm stammte, aber nicht mit Niederegger verwandt war.

Marc Jarzebowski vor dem Holstentor

Das Tor

Durch das Marzipan, aber auch durch andere Abbildungen, hat das Holstentor wie etwa die Bremer Stadtmusikanten oder das Brandenburger Tor in Berlin den Status eines weltbekannten Wahrzeichens bekommen.
Und jetzt stand ich endlich davor, bei meinem ersten Mal in Lübeck!
Das Holstentor ist nicht nur als Symbol, sondern auch als Bauwerk bedeutend. Sein Name erklärt sich übrigens ganz einfach dadurch, das es aus der Stadt heraus nach Westen führte, nach Holstein. Es wurde 1478 von der wohlhabenden Lübecker Bürgerschaft als Bestandteil einer mehrfachen Stadtbefestigung fertiggestellt.

Zwischenzeitlich gab es vier voreinander liegende Holstentore, von denen die anderen drei im Zug der Industrialisierung im 19. Jahrhundert abgerissen wurden. Auch das vierte Tor wäre diesem Schicksal fast nicht entkommen. 1863 entschied die Bürgerschaft nur mit einer Stimme Mehrheit zugunsten der Erhaltung. Dabei war das Tor schon eine Ruine und stand kurz vor dem Einsturz.

Der Weg zum Wahrzeichen

Nach der Restaurierung, die bis zum Jahr 1871 dauerte, dem Gründungsjahr des deutschen Kaiserreiches, begann Lübeck, sich mit seinem Tor anzufreunden. 1927 gestaltete Alfred Mahlau das bis heute fast unverändert verwendete Logo für das Niederegger Marzipan.
Weitere Restaurierungen des Tores erfolgten 1933/34 und 2005/06.

Fast 70 Jahre lang, zwischen diesen beiden Baumaßnahmen, überdauerte ganz oben in einem Regenrohr ein eingestanztes Hakenkreuz. Es galt als das letzte noch an einem Gebäude befindliche nationalsozialistische Symbol und sollte im Zuge der Sanierung entfernt werden. Es wurde aber vorher von einer unbekannten Person, die über das Baugerüst emporgeklettert war, gestohlen.
Seit 1950 befindet sich im Holstentor das Stadtmuseum, das auch die Umgestaltung der Räume zu einer „Ruhmes- und Ehrenhalle“ zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur nicht ausspart.

Der Vampir

Für einen Besuch dieser Ausstellung hatte ich allerdings keine Zeit. Schließlich war ich eigentlich für eine Recherche nach Lübeck gekommen. Es blieb aber eine halbe Stunde für einen kurzen Gang durch die Altstadt. Direkt neben dem Tor stehen die Salzspeicher an der Trave, die zwischen 1579 und 1745 erbaut wurden. Der Handel mit Salz war wesentliche Grundlage für den Reichtum der Stadt. Seit vor wenigen Jahren einige große Bäume entfernt wurden, bietet sich von der anderen Flussseite aus ein wundervoller Blick auf die schrägen Häuser, die sich gegenseitig zu stützen scheinen. Eine perfekte Kulisse für Friedrich Wilhelm Murnau, der hier 1922 seinen Horror-Stummfilmklassiker Nosferatu – eine Symphonie des Grauens drehte.

Die Salzspeicher in Lübeck: ein grauenvoller Drehort

Das Kreuz

Auch grauenvoll, aber ganz real ist offenbar die Gefahr, die aktuell vom Lübecker Dom ausgeht: die Vorderseite ist weiträumig mit einem Bauzaun zum Schutz vor Steinschlag abgesperrt. Der ehemalige Sitz der Bischöfe von Lübeck ist mit 132 Metern eine der längsten Backsteinkirchen überhaupt. Sie wurde 1173 romanisch begonnen und 1341 gotisch vollendet.

Der Dom in Lübeck

Das bedeutendste Stück der Innenausstattung ist das 17 Meter hohe Triumphkreuz des Lübecker Malers und Holzschnitzers Bernd Notke. Es wurde 1477 aufgerichtet, also genau zu derselben Zeit, aus der auch das Holstentor stammt.

Das Triumphkreuz im Dom zu Lübeck

Andenken

Als ich ein Foto von meinem ersten Mal in Lübeck auf sozialen Netzwerken hochlud, schrieb ein Freund in Israel: Denke daran, Marzipan zu kaufen! – Das habe ich natürlich getan.