Historische Orte

Historische Orte haben eine besondere Kraft. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Besuch eines authentischen Schauplatzes helfen kann, die Vergangenheit besser zu verstehen. Und zwar auf eine andere, vielleicht direktere Weise als das Lesen von Büchern oder Anschauen von Filmen. Aus diesem Grund halte ich die Einrichtung und Bewahrung öffentlicher Gedenkstätten für wichtig. Von mir kürzlich besuchte Beispiele sind etwa das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin und das ehemalige Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen.

Allee zu Hermann Görings ehemaligem Jagdpalast Carinhall mit Torhäuschen

Versuchen zu verstehen

Wie so viele nachgeborene Deutsche versuche ich schon lange zu verstehen, wie es in der Generation meiner Großeltern zu Diktatur und Barbarei kommen konnte, mehr oder weniger laut, leise oder schweigend mitgetragen von einer Mehrheit der Bevölkerung. Eine einfache Antwort gibt es darauf natürlich nicht. Aber wenn man die Vergangenheit ausradiert oder es versucht, kann es sie noch weniger geben.

Gras ist über die Fundamente von Carinhall gewachsen
Modell con Carinhall im Museum in Groß Schönebeck und geborgene Bronzeskulptur

Görings Palast

Die Nationalsozialisten haben an vielen Stellen selbst versucht, ihre Verbrechen und ihren Größenwahn zu vertuschen, als der Glaube an den Endsieg nicht mehr aufrecht zu erhalten war. So ließen sie im April 1945 kurz vor dem Anrücken der Roten Armee Carinhall sprengen. Carinhall war der Jagdpalast des einflussreichen NS-Politikers Hermann Göring in der Schorfheide nördlich von Berlin. Benannt war er nach Görings 1931 verstorbener und 1934 dorthin überführter schwedischer Ehefrau Carin. Erst 1991 wurde der Sarg mit ihren Überresten gefunden. Hall ist natürlich eine Anspielung auf das Walhall der nordischen Götterwelt.

Reste der Modelleisenbahn von Hermann Göring
Kämpfende Amazone von Franz von Stuck aus Carinhall, heute in Eberswalde

Spurensuche

Vor einigen Wochen habe ich mich im Wald nördlich von Groß Schönebeck, zwischen Großdöllner See und Wuckersee, auf Spurensuche begeben. Von dem Haus selbst sind nur noch einzelne überwucherte Mauerreste erhalten, es gibt aber noch die lange Zufahrt mit den beiden Torhäuschen. Eine Informationstafel mit einem Lageplan hilft dabei, sich den Ort mit dem Gebäude vorzustellen, in dem Göring seine Kunstsammlung zur Schau stellte und internationale Staatsgäste empfing. Eine Ausstellung im Museum in Groß Schönebeck zeigt neben einem Modell der Anlage etwa auch Reste von Görings Modelleisenbahn. Aus den angrenzenden Seen wurden versenkte Bronzeskulpturen geborgen, die einst in und um das Haus herum aufgestellt waren. Andere stehen heute im Berliner Tierpark (der Kronenhirsch von Johannes Darsow) und in Eberswalde (die Kämpfende Amazone von Franz von Stuck).

Teil unserer Geschichte

Auch wenn über Carinhalls Grundmauern im Wald Gras gewachsen ist: das sprichwörtliche Gras darf niemals über diese Geschichte wachsen. Die Authentizität des Ortes und dessen Dokumentation helfen zu verstehen – mehr noch: mit allen Sinnen zu begreifen -, dass der Nationalsozialismus keine Erscheinung einer fremden, weit entfernten Zeit war, sondern dass er ein Kapitel auch unserer eigenen Vergangenheit und unserer Familiengeschichte ist. Dieses Kapitel ist – zum Glück – abgeschlossen, aber die Beschäftigung damit darf es nie sein.

Infotafel in der Schorheide am Ort des ehemaligen Carinhall von Hermann Göring